TOPOS 11

Materialismus


Inhalt

AUFSÄTZE

Jasper Schaaf: Widerspiegelung als Voraussetzung für ideelle Rekonstruktion. Bemerkungen aufgrund einiger Fragmente bei Joseph Dietzgen

Hans Heinz Holz: Materialismus von Lange zu Lenin

Joachim Schickel: Natürliche Zahl und Dialektik

Jos Lensink: Spekulative und materialistische Dialektik

Robert Steigerwald: Zum heutigen Streit um den Materialismus

DISKUSSION

Hagen Delport: Ist ein subjektiver Materialismus notwendig?

AUS DEN ARCHIVEN

Engelbert Broda: Ethik und Evolution im Denken von Boltzmann und Einstein


Editorial

... Die Vorstellungen von der Beschaffenheit der Natur und vom Wesen der Materie haben sich im Laufe der Zeiten gewandelt. Von den Atomen Demokrits bis zur Materiewelle Schrödingers reicht eine vielfältige Linie der Materie-Deutungen. Die rasante Entwicklung der Naturwissenschaften seit der Mitte des 19. Jahrhunderts stellt die Philosophie vor die Aufgabe einer Reformulierung ihres Problembestands. Diese Aufgabe fügt sich ein in eine gesellschaftliche Praxis, die sich ihrerseits als wissenschaftlich begründbare und begründete versteht und die an der Universalität des Wissenschaftlichkeitspostulats der Erkenntnistheorie teilhaben möchte. Auch die Geschichte bleibt nicht mehr einem unergründlichen Schicksal oder dem Spiel des Zufalls oder der Willkür großer historischer Subjekte überlassen; sie wird aus den materiellen Verhältnissen und den in ihnen sich durchsetzenden Gesetzen erklärbar und folglich auch gestaltbar. In diesem Spannungsfeld von naturwissenschaftlichem und historischem Materialismus bildete sich eine materialistische Philosophie im 19. und 20. Jahrhundert heraus. Auf diese beiden Pole müssen sich ihre allgemeinen Kategorien gleichermaßen beziehen lassen Die marxistische Naturdialektik und die marxistische Geschichts- und Gesellschaftstheorie sind die Erscheinungsformen, in denen diese Problemlage ihre wissenschaftliche Struktur gefunden hat.

Systematisch ist der historische Materialismus die spezielle Theorie des dialektischen Materialismus für den Gegenstandsbereich Gesellschaft und als solche ein Teil des dialektischen Materialismus. Jedoch ist der historische Materialismus jedenfalls ein ausnehmend besonderer Teil, weil er die Bedingungen und Prozesse der Konstitution des Menschen als historisch-gesellschaftliches Wesen - primär als Gattung, sekundär als Individuum - untersucht und formuliert. Als historisch-gesellschaftliches Wesen bringt der Mensch auch jene Theorien hervor, deren eine der historische Materialismus selbst ist und deren weltanschauliche Systematisierung auf einer bestimmten Stufe der historischen Entwicklung der dialektische Materialismus vornimmt. Der historische Materialismus steht also vor der Aufgabe, in der Darstellung seines Objektbereichs zugleich die Konstitution seiner selbst und seiner übergeordneten allgemeinen Ontologie zu vollziehen. Demgemäß verhält er sich zum dialektischen Materialismus selbst dialektisch: Der historische Materialismus ist eine Teiltheorie des dialektischen Materialismus und zugleich die begründende Theorie seiner Genesis und Geltung. Der darin liegende explikative Zirkel ist nur in der Form einer Theorie der Reflexion zwar nicht aufzulösen, wohl aber evident zu machen.

In der Entstehungsgeschichte des Marxismus geht die Ausarbeitung des historischen Materialismus der des dialektischen voran. Diese Entstehungsgeschichte hat auch einen wissenschaftlichen Aspekt: Wenn jede Theorie als bestimmte die historischen Bedingungen ausdrückt und als inhaltliche Bestimmungen in sich aufgenommen hat, unter denen sie entstanden ist, so ist die Theorie der Konstitution dieser Bedingungen und Bestimmungsmomente als begründende und selbstbegründende Theorie jeder anderen vorgängig.

Das methodologische Prius des historischen Materialismus vor der Naturdialektik ist indessen kein systematisches. Fundiert werden kann der historische Materialismus nur in einer allgemeinen Theorie der Natur-Materie, von der aus die Besonderheit der Arbeit und damit der Produktionsverhältnisse als Moment der »Spezifikation der Natur«, des Selbstunterschieds der Natur, kenntlich gemacht wird...

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