TOPOS 3

Epochenwandel


Inhalt

AUFSÄTZE

Renate Koppe: Epochenwandel im frühen Griechenland. Die Herausbildung antiker Produktionsverhältnisse

Umberto Cerroni: Der Kaiser aus Apulien

Hans Heinz Holz: Friedrich II. Die Universalität des Rationalen

Domenico Losurdo: Demokratische Revolution oder Restauration? Über den Zusammenbruch des ›realen Sozialismus‹ in Osteuropa

Georg Fülberth: Das Jahrhundert des Sozialismus

ESSAY

Peter Hacks: Mehrerlei Langweile. Zu Jan Philipp Reemtsma »Das Buch vom Ich - Christoph Martin Wielands ›Aristipp und einige seiner Zeitgenossen‹«, Haffmans 1993

DISKUSSION

Andreas Hüllinghorst: Die Anstrengungen des Begriffs, praktisch zu werden. Darstellung einer Diskussion um den Epoche-Begriff

AUS DEN ARCHIVEN

Diskussion um die Erneuerung Deutschlands. Interzonale Beratung des Rates der VVN 1948

LITERATUR UND FORSCHUNG

Hans Heinz Holz: Leonhard Froese 70 Jahre

Leonhard Froese: Kriegs- und Friedenserziehung im Wandel der Zeiten


Editorial

Kaum jemand wird den Eindruck für unmotiviert halten, Hegels großes Wort aus der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes könne auch in unsere Tage hinein gesprochen sein: »Es ist übrigens nicht schwer zu sehen, daß unsere Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in der Arbeit seiner Umgestaltung.« Es ist sogar gesagt worden, seit der neolithischen Revolution habe es keine so fundamentale und weilreichende Veränderung des menschlichen Natur- und Weltverhältnisses mehr gegeben wie heute durch die wissenschaftlich-technische Revolution. Jedenfalls ist klar geworden, daß die bisherigen Vergesellschaftungsformen nicht mehr langen, um der sogenannten »globalen Probleme« Herr zu werden. Unsere Epoche ist eine des Übergangs und der Umgestaltung. Übergang wohin? Umgestaltung zu was? Darüber gibt es sichtlich keinen Konsens, am wenigsten bei denen, die großmundig eine »neue Weltordnung« verkünden. Das Ereignis, das unser Jahrhundert als Epocheneinschnitt erlebte - die Oktoberrevolution - ist durch den Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaften in Osteuropa seiner unmittelbaren politischen Wirkung beraubt. Restauration legt die Arbeit der Umgestaltung still. Ist die Diagnose des Epochenwandels widerlegt? Geschichtliche Übergänge verlaufen nicht linear. Epochen wandeln sich widerspruchsvoll in Vorgriffen und Rücksprüngen; die Geschichte zeigt es uns. Aus der Geschichte allerdings lernt man nicht durch Übertragung des Vergangenen aufs Gegenwärtige, sondern durch Begreifen der in jedem Falle wirkenden besonderen Kräfte. Erst solche Einsicht gestattet sinnstiftende Analogien. Friedrich II, römischer Kaiser, König von Deutschland, von Arelat und von Sizilien, ist von Zeitgenossen und von Späteren als Symbolfigur eines Epochenwandels aufgefaßt worden. Schon zu Lebzeiten wurde er »Verwandler der Welt« (immutator mundi) genannt und von vielen als solcher gefürchtet. In diesem Jahr wird seines 800. Geburtstags am 26. Dezember gedacht. An Friedrich wird deutlich, was eine »Epochenschwelle« ist. Schon die moderne Staats- und Wissenschaftsgesinnung vorwegnehmend, ist er doch noch im Mittelalter gefangen, und sein Werk mußte unter den Bedingungen einer mittelalterlichen Umwelt scheitern. Dennoch kündigt es den Epochenwandel an, gibt auch unverlierbare Anstöße. Dem Exemplum Friedrich II sind zwei Beiträge dieses Heftes gewidmet, der von Umberto Cerroni und der von Hans Heinz Holz. Weiter zurück greift der Aufsatz von Renate Koppe. Sie zeigt am Beispiel der Gesetzgebung Solons, wie die neue Epoche, die die athenische Polis-Demokratie heraufführt, im ersten Anlauf nur in Kompromissen und durch Rückschläge hindurch ihre Gestalt fand. Jeder Epochenwandel hat seine eigene Bewegungsform, die es nachzuzeichnen gilt. Charakterzüge der gegenwärtigen Epoche — in der Nähe des Miterlebens am schwersten zu fassen und zu objektivieren - beleuchten die Beiträge von Domenico Losurdo und Georg Fülberth. Losurdo begreift Restauration als eine Phase im widersprüchlichen Prozeß des Epochenwandels. Fülberth sieht den Sozialismus in seiner bisherigen Gestalt als ein Korrelat des Kapitalismus und die marxistische Theorie angesichts neuer offensiver Orientierungen im Kapitalismus vor neue Herausforderungen gestellt. Hier sind, gemäß der Natur des Präsentischen, historische und politische Einschätzung dasselbe. Die Epochenfrage ist eine (geschichts)philosophische. Daß die politische Aktualität nicht ohne diese geschichtsphilosophische Dimension gewinnt, zeigen die Diskussionen, die um die Programmatischen Thesen zur Orientierung der Deutschen Kommunistischen Partei geführt werden, welche ausdrücklich von einem philosophisch konzipierten Epochen-Begriff Gebrauch machen. Der Diskussionsbeitrag von Andreas Hüllinghorst nimmt die entgegengesetzten Positionen in diesem Streit auf und zu ihnen Stellung. Wie die Generation, die 1945 den Wiederaufbau und die demokratische Neuordnung Deutschlands in Angriff nahm, ihre Situation als einen Geschichtseinschnitt und als Herausforderung zur Arbeit an der Umgestaltung erlebt hat, dokumentieren die Referate, die im März 1948 auf der noch gesamtdeutschen Juristenkonferenz der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) gehalten wurden und die wir hier zum ersten Mal der breiteren Öffentlichkeit vorlegen. Dies war wohl zum letzten Mal, daß so verschiedene Köpfe wie Karl Geiler, Adolf Arndt und Hilde Benjamin ein Einverständnis in den Grundsätzen festhalten konnten. Der Literatur- und Forschungsbericht ist dem 70. Geburtstag von Leonhard Froese mit einer Widmung und einem unpublizierten Vortrag des Jubilars gewidmet. Eine Besonderheit stellt in diesem Heft die Rubik Essay dar. Peter Hacks hat uns seine Polemik gegen eine akute Verfälschung des Geists der Klassik zur Verfügung gestellt. Daß deutsche Schriftsteller sich ernsthaft auf philosophische Reflexion einlassen, ist (zum Schaden der Literatur) selten geworden. Wir freuen uns, dieser in Deutschland raren Gattung des streitbaren Essays einen Ort einräumen zu können, wenn immer sich die Gelegenheit bietet.

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