TOPOS 34

Klassik


Inhalt

THEATER

Constanze Kraft: Haltung. Zwischen Wirklichkeit und Utopie. Die Inszenierung von »Die Sorgen und die Macht. Ein Stück über die Zukunft von gestern nach Peter Hacks« am Deutschen Theater zu Berlin

Jürgen Kuttner: Peter Hacks: »Die Sorgen und die Macht« - Ein Interview

AUFSÄTZE UND VORTRÄGE

Felix Bartels: Selbst auf den Schultern der Gegner. Der Klassik-Begriff von Peter Hacks im Umriß

Heidi Urbahn de Jauregui: Peter Hacks: Klassik in sozialistischer Gegenwart

Dietmar Dath: »Growing Nervous«: Lord Byrons antiromantische Romantik

Detlef Kannapin: Warum hat Peter Hacks Carl Schmitts »Politische Romantik« ignoriert? Anmerkungen zum Romantik-Begriff von Hacks gelegentlich dreier Winke zu seiner politischen Großraumwirkung

Hans Heinz Holz: Kleist und Klassik

Elmar Treptow: Zur Unterscheidung der Symbole von den nicht-symbolischen Zeichen im Licht von Goethe und Hegel

Andy Blunden: Wie Hegel Goethes Urphänomen philosophisch nutzbar machte

Dieter Kraft: Der entkettete Knecht. Philosophische Perspektiven auf Brecht und Hacks und Hegel


Editorial

Am 4. September 2010 fand im Berliner Deutschen Theater eine spektakuläre Premiere statt. Tom Kühnel und Jürgen Kuttner stellten nach 47 Jahren wieder »Die Sorgen und die Macht« auf die Bühne - mit dem beziehungsreichen Untertitel »Ein Stück über die Zukunft von gestern nach Peter Hacks«. Mit dem Beitrag von Constanze Kraft und dem Interview, das Jürgen Kuttner dem TOPOS freundlicherweise gewährt hat, gehen wir in Heft 34 auf dieses nachwirkende Ereignis unmittelbar ein und stellen es zugleich in den großen Rahmen des Topos »Klassik«.

Wie auch Hans Heinz Holz in seinem Beitrag deutlich macht, erschließt sich der Begriff »Klassik« nicht von selbst. Zu vielfältig sind die Konnotationen, als daß eine Definition ohne Abgrenzungen auskommen könnte. Die aber kommen ohne Axiome nicht aus. Axiome wiederum sind nur historisch begreifbar, einsehbar allein in ihrem geschichtlichen Werden, das an Gesellschaftlichkeit gebunden ist. So bleibt »Klassik« selbst dort ein politischer Begriff, wo vordergründig allein auf Ästhetik abgehoben wird - geradezu »klassisch« greifbar in der doctrine classique, mit der dem Frankreich Ludwig XIV. kunstvoll Maß und Ordnung verliehen werden sollte.

Noch bevor sich die historisch übergreifende Kategorie »Klassik« in der deutschen Literatur vornehmlich mit Weimar verband - in der Musik vor allem mit Wien -, hatte Hegel die Kunst im Selbsterkenntnisgang des »Geistes« zwar für obsolet erklärt, jedoch in seiner Ästhetik für das »Klassische« Maßstäbe benannt, die über diese dekretierte Aufhebung hinausreichen. Das »Klassische der Kunst« bestehe darin, »seiner Natur nach nicht symbolisch, sondern in sich selber durchweg deutlich und klar zu sein« und zugleich »das Ideal der objektiv in sich selbst wahrhaftigen Menschlichkeit«.

Felix Bartels und Heidi Urbahn de Jauregui zeigen, welches Klassik-Verständnis in dem Werk des »Hegelianers« Peter Hacks zum Tragen kommt und warum es nur in der DDR seine Bühne finden konnte.

Den Autoren Dietmar Dath und Detlef Kannapin sowie dem Berliner Aurora-Verlag ist zu danken, daß sie einem Vorabdruck ihrer auf der Dritten Wissenschaftlichen Hacks-Tagung gehaltenen Vorträge freundlicherweise zugestimmt haben. Die Tagung am 5./6. November 2010 stand unter dem Thema »Salpeter im Haus - Peter Hacks und die Romantik«[1]. In beiden Beiträgen geht es auf ganz unterschiedliche Weise um die Frage nach der historischen, ästhetischen und politischen Verortung einer Romantik, die sich gemeinhin als Antipodin der Klassik etablierte.

Daß »Klassik« nicht nur eine europäische Perspektive besetzt, sondern universalgeschichtliche Signaturen trägt, scheint in dem Vortrag von Elmar Treptow auf, der Goethe und Hegel wohlbedacht in den chinesischen Kulturkreis stellt. Und mit dem Text zu Goethe und Hegel von Andy Blunden erreichte uns ein Beitrag aus Australien, der auf seine Weise die philosophische Diskussion auf diesem Kontinent widerspiegelt und die gegenseitige Befruchtung von Klassik und Philosophie in Erinnerung bringt. Mit dem Nachdruck des Vortrags von Dieter Kraft auf der Zweiten Wissenschaftlichen Tagung der überaus verdienstvollen »Peter Hacks Gesellschaft« wird schließlich dokumentiert, daß  die Verschränkung von Kunst und Philosophie auch im 20. Jahrhunderts ein genuines Thema geblieben ist.

Noch immer werden, weitgehend auch in der Forschung, Klassik und Romantik auf rein literaturgeschichtliche Lemmata verkürzt. Ein authentisches Verständnis erschließt sich jedoch erst mit der Freilegung ihrer politischen und gesellschaftlichen Implikationen, zu Goethes Zeiten im Pro oder Contra verbunden mit der Französischen Revolution und hernach mit der Sozialistischen Oktoberrevolution. »Noch immer ist es die Klassik, die für den Fortschritt steht.« Denn: »Wer Goethe sagt, muß Hegel sagen, und wer Hegel sagt, sagt Marx.«[2]

Die deutsche Klassik ist die Erbfolgerin der Aufklärung, die heute gezielt einer Zerstörung preisgegeben wird, die allenthalben katastrophale Spuren hinterläßt. Die deutsche Romantik des 18./19. Jahrhunderts sehnte sich in das Mittelalter zurück, die bundesdeutsche Wirklichkeit trägt bereits wieder Züge jener Mittelalterlichkeit, für deren Überwindung die Klassik einst einstand. So bleibt das Thema Klassik von hochaktueller Bedeutung und Brisanz. Und die Alternativen haben sich noch verschärft. Sie heißen heute: Klassik und also Vernunft und Menschlichkeit oder Barbarei.


[1] Der im Frühjahr 2011 im AURORA Verlag erscheinende Tagungsband enthält außerdem die Vorträge von Kai Köhler, Bernadette Grubner, Theodore Ziolkowski, Ronald Weber, Leonore Krenzlin und Nikolas Immer.

[2] Peter Hacks, TOPOS 3 (1994), S. 128.

 

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